Studierende protestieren gegen Teheran und boykottieren Vorlesungen
Fast drei Monate nach Beginn der Protestbewegung im Iran haben Studierende am Mittwoch erneut landesweit demonstriert und ihre Vorlesungen boykottiert. "Habt Angst, habt Angst, wir sind alle zusammen", riefen sie an der Technologie-Universität Amirkabir in der Hauptstadt Teheran, wie aus einem Video des Onlinekanals 1500tasvir hervorging. Gleichzeitig wurden viele Geschäfte den dritten Tag in Folge bestreikt. Die Protestbewegung bekam zudem prominente Unterstützung durch Ex-Präsident Mohammad Chatami sowie durch die Schwester von Ayatollah Ali Chamenei, dem geistlichen Oberhaupt des Iran.
Die seit Mitte September anhaltenden Proteste gegen die Führung in Teheran wurden durch den Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini ausgelöst, die kurz nach ihrer Festnahme durch die Sittenpolizei gestorben war. Studierende im ganzen Land unterstützen die Proteste.
Jugendgruppen hatten zu Demonstrationen am jährlichen "Tages des Studenten" am 7. Dezember aufgerufen, der an drei im Jahr 1953 von Sicherheitskräften des Schahs getötete Studenten erinnert. Die Protestierenden sollten den Mittwoch in einen "Tag des Terrors für den Staat" verwandeln.
Von Aktivisten im Internet veröffentlichte Videos zeigten verriegelte Geschäfte und junge Menschen bei Protesten im ganzen Land. Auf Videos der Organisation Iran Human Rights (IHR) mit Sitz in Oslo waren geschlossene Läden in Teheran, im westlich der Hauptstadt gelegenen Kaswin, der Stadt Rascht im Norden des Landes und in Diwandarreh in Aminis Heimatprovinz Kurdistan zu sehen.
Videomaterial des Senders BBC Persian schien Studierende beim Protest gegen die Anwesenheit des ultrakonservativen iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi zu zeigen - bevor sie von Sicherheitskräften zurückgedrängt wurden. Der Staatschef besuchte am Mittwoch die Universität von Teheran.
Dort dankte Raisi Studenten dafür, eine Ausbreitung von "Unruhen" an den Universitäten verhindert zu haben. "Diejenigen, die unsere Angehörigen auf brutale und ungerechte Weise töten, sind Unruhestifter", sagte Raisi. "Unser Volk und die Studenten verstehen den Unterschied zwischen Protesten und Unruhen."
Zuvor hatte die Protestbewegung die Rückendeckung des ehemaligen Präsident Mohammad Chatami bekommen. Der reformorientierte Chatami lobte die Protestbewegung und bezeichnete ihren Hauptslogan "Frau, Leben, Freiheit" als "schöne Botschaft, die den Weg in (...) eine bessere Zukunft weist".
Freiheit und Sicherheit dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden, sagte Chatami in einer von der Nachrichtenagentur Isna am Vorabend des Studententags zitierten Erklärung. Er verurteilte die Festnahme von an den Protesten beteiligten Studenten. Repressionen könnten die Sicherheit der Universitäten und der Gesellschaft nicht gewährleisten, sagte er. Chatami war zwischen 1997 und 2005 Präsident des Iran.
Bei der Niederschlagung der Proteste wurden nach unterschiedlichen offiziellen iranischen Angaben inzwischen mehr als 200 oder mehr als 300 Menschen getötet. IHR spricht von mindestens 448 "von Sicherheitskräften getöteten" Menschen. Tausende wurden festgenommen.
Am Mittwoch stellte sich auch Badri Hosseini Chamenei, die Schwester des iranischen geistlichen Oberhaupts Ayatollah Ali Chamenei, hinter die Demonstrationen. In einem von ihrem Sohn in Paris veröffentlichten Brief verurteilte sie die "despotische" Führung ihres Bruders.
"Ich drücke mein Mitgefühl mit allen Müttern aus, die die Verbrechen des Regimes der Islamischen Republik" von der Gründung nach der islamischen Revolution im Jahr 1979 bis in die heutige Zeit "betrauern", erklärte Badri Hosseini Chamenei. Der Staatsführung warf sie vor, "dem Iran und Iranern nichts als Leiden und Unterdrückung" gebracht zu haben. Sie könne wegen ihrer körperlichen Verfassung leider nicht an den Protesten teilnehmen, erklärte die vermutlich im Iran lebende Schwester des Ayatollahs.
"Ich hoffe, den Sieg der Bevölkerung und den Sturz dieser Iran regierenden Tyrannei bald zu sehen", hieß es in dem Brief weiter. Sie rief die Revolutionsgarden dazu auf, die Waffen niederzulegen und sich dem Protest anzuschließen.
M.Jenkins--MC-UK